Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod.
Hohelied 8,6 (L)
Er hatte sich schon lange darauf gefreut. Er, der jüngste Bruder. Seine älteren Brüder hatten ihn alle schon bekommen. Den eigens angefertigten Siegelring. Am Tag der
Konfirmation wurde er ihnen vom Großvater überreicht. Seitdem trugen sie ihn mit Stolz. Zeigten damit, dass ihnen die Familie wichtig ist und sie eine Tradition
weiterführen wollen. Heute war es nun für ihn so weit. Erst der feierliche Gottesdienst und dann nach dem Mittagessen der lang erwartete Moment. Sein Großvater
stand auf. Umständlich nahm er erst seine Brille aus der Tasche, entfaltete einen Zettel und stützte sich dann auf der Stuhllehne auf. Er war mit den Jahren ein
wenig zitterig geworden. Doch seine Stimme war immer noch fest und klar. „Mein lieber Enkelsohn“, so begann er seine Rede, „ich weiß, dass du schon lange darauf
gewartet hast. Heute gebe ich an dich weiter, was mir mein Vater gegeben hat und was schon in Generationen in unserer Familie weitergegeben wird. Dieser Siegelring
steht dafür, dass du erwachsen wirst und Verantwortung übernehmen wirst. Alle werden erkennen, dass du ein Teil dieser Familie bist und die alte Tradition weiterführst. Es macht mich sehr stolz, zu wissen, dass mein Erbe in guten Händen ist.
Mein Lebenswerk wird weitergeführt werden.“
Mit diesen Worten steckte er seinem Enkelsohn den Ring an den Finger. Seine Stimme war am Ende doch brüchiger geworden. Nicht nur seinem Alter geschuldet,
sondern auch der Rührung, die ihm deutlich anzumerken war. Dieser Moment war für Großvater und Enkelsohn ein sehr besonderer, feierlicher und heiliger Moment.
Niemand wagte, die Stille nach diesen Worten zu stören. Nur ein ganz leises „Danke, Großvater“ kam dem Enkelsohn über die Lippen.
Es gibt die Tradition des Siegelringes kaum noch in dieser Zeit. Adelsfamilien bewahren sie noch, den allermeisten ist sie inzwischen aber unbekannt. Vielleicht
hat mich das Miterleben dieses Momentes zwischen Großvater und Enkelsohn auch deswegen so berührt. Das war etwas sehr Besonderes. Mehr Nähe geht nicht.
„Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm“, heißt es in den Worten aus dem Hohelied der Liebe, diesem eher vernachlässigten Buch der
Bibel. Ein Liebender spricht seiner Geliebten die Worte zu. Ganz nah möchte er bei ihr sein. Etwas so Persönliches wie ein Siegel soll Zeichen ihrer Liebe sein. Etwas Bleibendes. Wenn sich Liebende heute bei der Trauung den Ehering anstecken, geben sie sich damit dieses Siegel. Sie versprechen einander verbunden zu bleiben und ein sichtbares Zeichen der Liebe zu tragen. Das Siegel liegt nicht nur auf dem Herzen, sondern auch auf dem Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod. Und das sollen alle sehen. Es gibt kein größeres Geschenk, das ein Mensch einem anderen machen kann. Liebe ist das stärkste Gefühl dieser Welt. Sie steht am Anfang des Lebens und
wird das Ende überdauern. Aus dieser Hoffnung leben und lieben wir.
Gebet
Du, Gott, bist ein Gott der Liebe.
Du hast uns zuerst geliebt. Aus dieser Liebe leben wir.
An manchen Tagen fällt es schwer, Liebe zu geben.
Wir sind genervt, gestresst und verlieren unsere Mitmenschen
aus dem Blick.
Schenke uns dann einen Spiegel, in dem wir sehen, was wir sind:
Deine geliebten Kinder.
Du, Gott, liebst uns.
Lass uns das niemals vergessen.
Du, Gott, lässt uns lieben.
Lass uns das immer wieder tun. Amen.
Lieder
EG 613 Liebe ist nicht nur ein Wort
EG 620 Freunde, dass der Mandelzweig
Segen
Gott schenke uns Liebe, wo Hass ist.
Gott schenke uns Mut, wo Verzweiflung ist.
Gott schenke uns Kraft, wo Schwachheit wohnt.
Es segne uns der liebende Gott, der wie Vater und Mutter ist,
in Jesus Christus durch die Heilige Geistkraft. Amen.