Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr,
und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
Jeremia 23,23 (L)
Dieser Satz bei Jeremia bereitete mir einiges Kopfzerbrechen. Meinte er mit „nahe und ferne“ die Gegenwart und Zukunft, oder meinte er mein persönliches Verhältnis zu Gott als „nahe und ferne“? Manchmal erleben wir Gott als ganz nahe und manchmal ist er der fremde Gott, der weit entfernt zu sein scheint. Gott kann sich uns auch entziehen, er kann der ferne, der zornige Gott sein. Wir können ihn nicht festmachen, können nicht über ihn verfügen. Dann stieß ich in den Losungen 2023 auf den Brief des Paulus an die Epheser (2,17): Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr ferne wart, und Frieden denen, die nahe waren.
Jetzt verstand ich, Paulus wollte durch das Evangelium des Friedens und der Nächstenliebe alle Menschen erreichen, es sollte die Trennung aufheben. Er verkündigte den Menschen aus anderen Völkern, dass sie von den Juden und dem jüdischen Gott nicht abgelehnt werden. Diese Einladung gilt bis auf den heutigen Tag. Wir sind mit eingefügt in das Fundament, das die Propheten und die Apostel gelegt haben und der Eckstein im Fundament ist Jesus Christus. Durch ihn bekamen wir den befreienden, liebevollen Geist des Evangeliums. Durch Christus erfahren wir die Nähe Gottes.
In den letzten Jahren kommen immer mehr Flüchtlinge, Migranten zu uns. Fremde, die nicht nur Arbeit und Auskommen suchen. Sie fliehen vor Krieg, Folter und Hunger und suchen Wärme, Schutz und Geborgenheit in unseren Gemeinden. Sie bringen ihre religiösen Erfahrungen mit und auch in ihrer Religion gibt es einen Gott. Sie nennen ihn nur anders. Wie gehen wir um mit der Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit? Verstehen wir die Vielfalt als Bereicherung oder als Übel? Einheit in einer versöhnlichen und geschwisterlichen Verschiedenheit ist das Ziel der Ökumene im 21. Jahrhundert.
Ich las einmal in einer Legende: Das Antlitz Gottes besteht aus hebräischen, griechischen, persischen, slawischen Buchstaben und ist daher von unvergleichlicher Herrlichkeit.
Wer sein Herz Gott weiht, übt Toleranz und Nächstenliebe aus und baut Brücken vom Ich zum Du und der Schöpfung. Jede von uns kann auch im Kleinen etwas für die Schöpfung tun.
Ich hörte im Radio eine Sendung über das Verschwinden der Wildkräuter von den Feldern. Auf der Roten Liste stehen auch Ackergauchheil und Erdrauch. Diese beiden Kräuter entdeckte ich in meinem Garten und ich räumte ihnen einen Platz zum Wachsen ein. Gott hat keine anderen Hände, als die unsrigen.
Vor kurzem kam ich mit einer Ukrainerin ins Gespräch, als ich mit meinen zwei Gänsen zur Weide ging. Tiere erleichtern den Kontakt zu anderen Menschen ungemein und zaubern ein Lächeln auf ihr Gesicht. Valentina, so hieß die Ukrainerin, nahm ihr Smartphone zu Hilfe zur besseren Verständigung und so erfuhren wir etwas übereinander. Tage später kam sie mir auf dem Fahrrad entgegen, strahlte und rief schon von weitem „Hallo Irina!“ „Hallo Valentina“, rief ich winkend zurück. Es war nur ein kurzer Zuruf, mir wurde warm ums Herz. Ich hatte etwas empfangen. In diesem Moment zeigte sich etwas von den Möglichkeiten, die in uns stecken, Gottes Geist ein Gesicht zu geben. Ich bin dankbar, dass Gott uns diese Fähigkeit geschenkt hat und jede Einzelne diese Möglichkeit nutzen kann. Im Miteinander können wir erfahren, wie Gott uns nahe kommt. Amen.
Gebet
Gott, lass uns aufmerksam sein auf die, die keine Zuflucht haben. Lass
sie uns in deinem Namen in unsere Gemeinden einladen und ihnen
beistehen. Amen.
Lieder
EG 604 Wo ein Mensch Vertrauen gibt
EG 603 Ins Wasser fällt ein Stein
EG 171 Bewahre uns, Gott
Segen
(Wir legen unsere Hand auf die Schulter unserer Nachbarin)
So, wie das Meer den Bach umfängt, der zu ihm herabfließt,
so möge auch Gott uns umfangen und behüten. Amen.