„Können Sie sich vorstellen, die Damen und Herren in der geriatrischen Abteilung unseres Krankenhauses ein Mal in der Woche zu besuchen?" So lautete der Aufruf in unserer Heimatzeitung vor einigen Wochen. Als ich das las, fiel mir sofort der Monatsspruch für Oktober 2013 ein: „Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen; denn an solchen Opfern hat Gott Gefallen." (Hebräer 13,16)
Wir haben Erntedank gefeiert. Unser Dank sollte uns motivieren, die guten Gaben für die wir wieder gedankt haben, zu teilen. Wer dankt, der denkt; wer christlich denkt, der teilt! Unsere Dankeslieder werden zur schrägen Katzenmusik, wenn wir die Not anderer Menschen vergessen oder übersehen. Unsere Dankbarkeit muss auch zum Nachdenken über die soziale Gerechtigkeit und zur Bekämpfung der Armut in aller Welt führen. Wer dankbar ist, der kann auch über seinen persönlichen Tellerrand hinaus blicken. Vieles besitzen wir hier in unserem Land im Überfluss. Nahrung und Medikamente zum Beispiel, die werden woanders in der Welt dringend gebraucht, und es würde uns nicht viel kosten, davon abzugeben. Aber es geht auch um andere Dinge wie Bildung, Gleichberechtigung, Chancengleichheit. Unsere Gesellschaft braucht Solidarität gerade mit denen, die sich als ihre Verlierer fühlen, damit wir friedlich miteinander leben können. Auch in den persönlichen zwischenmenschlichen Beziehungen sollten wir darauf achten, dass wir den Bedürfnissen anderer gerecht werden: zum Beispiel älteren Menschen Zeit zum Zuhören schenken, auch wenn wir ihre Geschichten schon auswendig kennen oder einen kranken Nachbarn im Krankenhaus besuchen oder jemandem unter die Arme greifen. Unser Dank kann gar nicht groß genug sein, um all die Aufgaben zu bewältigen, die uns das Leben stellt.
Was wir Menschen wohl am schwersten lernen, ist praktizierte Solidarität. Ja, wenn Hungersnöte eindrücklich genug im Fernsehen geschildert werden, wenn Naturkatastrophen uns „an die Nieren gehen", dann helfen wir. Wir spenden sehr viel und die Medien sprechen dann von einer riesengroßen Solidarität, die unter den Menschen sichtbar wird. Jedoch einmal ganz ehrlich: Haben wir wirklich „ge-teilt"? War es Solidarität, die uns zum Spenden motiviert hat, oder war es Mitleid? Nichts gegen Mitleid!
Solidarität, wie Gott sie will, heißt jedoch Teilen. Wer teilt und den eigenen Nachteil nicht fürchtet, sondern ihn ganz bewusst akzeptiert, der macht die überraschende Erfahrung: Es reicht nicht nur für alle, sondern es bleibt sogar noch etwas übrig.Schon Immanuel Kant hat geschrieben: „Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man in Würde zu entbehren weiß, und es könnte sein, dass die Menschheit reicher wird, indem sie ärmer wird, und gewinnt, indem sie verliert."
Ich weiß, teilen, opfern, Gutes tun, das sind alles keine knisternden Neuigkeiten. Es sind die Klassiker des Christseins. Es sind eben Klassiker, weil sie gestern galten, heute gelten und morgen immer noch ihre Gültigkeit haben werden. Ohne Taten, ohne Konsequenzen wäre der Glaube reiner Selbstzweck und tot. Diese tätigen Konsequenzen des Glaubens sind nach wie vor sicher die materielle Hilfe für andere Menschen, sei es durch Geld- oder Sachspenden, aber ebenso auch die Aufmerksamkeit für das Wohlergehen unseres Nachbarn, unserer Nachbarin, denn manche Menschen wissen nicht, wie wichtig es ist, dass sie da sind. Manche Menschen wissen nicht, wie gut es ist, sie nur zu sehen. Manche Menschen wissen nicht, wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt. Manche Menschen wissen nicht, wie wohltuend ihre Nähe ist. Manche Menschen wissen nicht, wie viel ärmer wir ohne sie wären. Manche Menschen wissen nicht, dass sie ein Geschenk des Himmels sind. Sie wüssten es – würden wir es ihnen sagen.
Glück kann man verschenken, ohne es selber gehabt zu haben. Und es steckt an. Ich wünsche uns allen, dass wir häufig diese glückliche Erfahrung machen: Ich werde nicht ärmer, sondern reicher, wenn ich teile, wenn ich großzügig austeile von meinen Gaben, die mir selber ja auch geschenkt worden sind. Gottes gute Gaben – das sind: meine Fähigkeiten, meine Aufmerksamkeit und meine Zeit.
Verschenken Sie doch einmal Zeit!
Gebet
Was ich empfange und was mich beglückt, ist zu groß,
als dass mein kleines Ich es für sich behalten könnte.
Glück wird größer, Zeit wird erfüllter, wenn ich sie mit anderen teile.
Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.
Der Friede meines Herzens will nicht in mir eingeschlossen werden.
Das Gebet für andere weitet mein Herz und schafft eine herzliche Verbundenheit.
Du Gott des sanften Friedens, vor dir denke ich an die Menschen,
die sich nach Stille und Frieden sehnen.
Sie sind allein mit ihrer Last.
Sie haben niemanden, dem sie das, was sie niederdrückt,
auf die Schultern legen können.
Vor dir denke ich an die Menschen,
die allein sind und dabei unglücklich werden.
Vor dir denke ich an die Menschen,
die sich nach Geborgenheit sehnen,
nach einem menschlichen Gesicht mit guten Augen,
die sie liebevoll anschauen.
Vor dir denke ich an die Menschen,
die Angst haben, „zu kurz zu kommen",
denen die Zwänge in ihrem Beruf
oder die Leere der Arbeitslosigkeit
die Luft zum Atmen nehmen.
Du bist die Liebe,
du nimmst Lasten ab,
du bist die Geborgenheit.
Du atmest uns frei.
Du gibst uns Kraft, die wir mit dem Andern teilen können.
Guter Gott, du hast uns ein Herz gegeben,
damit wir Liebe und Glück empfinden können.
Hilf uns, anderen Menschen Liebe und Glück zu schenken.
Amen
Lieder
EG 170, 1-4 Komm, Herr, segne uns
EG 604, 1-3 Wo ein Mensch Vertrauen gibt
EG 613 Liebe ist nicht nur ein Wort
EG 420 Brich mit den Hungrigen dein Brot