Die gute Nachricht zuerst: Der HERR ist freundlich! Ohne Wenn und Aber! Der Gott Israels, der sich immer wieder als eifernde und vergeltende Kraft gezeigt hat, offenbart sich ganz neu. Gott wird verlässlich freundlich sein! Und das nicht irgendwann später einmal, sondern ab sofort. Was für ein Pfund für mein Leben, wenn ich mich auf die Freundlichkeit Gottes verlassen kann, hier und heute und in alle Ewigkeit!
Allerdings gibt es auch die zweite Nachricht, die Einschränkung: Verlässlich freundlich ist Gott, wenn du auf Gott harrst und nach ihm fragst! Und wer tut das schon?
Das Harren, das sehnsuchts- und hoffnungsvolle Warten ist ja gerade nicht sehr in Mode. Schnell muss alles gehen, berechenbar muss es sein und am besten innerhalb von fünf Werktagen lieferbar. Diese Regeln, die sich im Geschäftsleben eingebürgert haben, sind in den vergangenen Jahrzehnten nach und nach in unseren Glauben eingewandert. Auch da wünschen wir uns eine Art Deal, einen Handel mit Gott, gerade so, als hätten wir es mit einer Firma zu tun.
Aber das Harren auf Gott, das beseelte Warten auf heilvolles Eingreifen in eine geschundene Welt, ist etwas völlig anderes. Dahinter steht die tiefe Einsicht, dass wir als Menschen das Leben gerade nicht in der Hand haben, auch nicht unser eigenes.
Aber nicht nur das Ausharren, sondern auch das wirkliche Fragen haben wir verlernt. Das wirkliche Fragen erwartet im Grunde keine Antwort. Denn Antworten beenden. Fragen eröffnen. Vielleicht ist das der Grund, warum Jesus oft Fragen, die ihm gestellt wurden, mit einer Gegenfrage beantwortet. Das Suchen und Infragestellen führt uns immer tiefer in die Wahrheit hinein. Mit Fragen beginnen Abenteuer. Gemeinsame Fragen verbinden.
Es ist ja immer wieder so, dass wir von Menschen, die dem christlichen Glauben eher fern stehen, als Christinnen auf Gott angesprochen werden. Da werden wir gefragt, wie denn Gott, wenn es ihn gibt, dies oder das zulassen kann. Da geht es um Schuld und um Vergebung. Da geht es um das Rätsel, was uns denn nach dem Tode erwartet. Und wie leicht geraten wir da in die "Antwort-Falle", dass wir meinen, nur weil wir im Glauben beheimatet sind, müssten wir nun so Antwort geben, als hätten wir den Stein der Weisen gefunden. Wie entlastend und verbindend ist es dagegen, wenn wir dann antworten dürfen: "Das sind genau die Fragen, die die weltweite Christenheit seit Jahrhunderten verbindet. Erhalte dir deine Fragen, ja frage nur weiter so, dann bist du auf dem besten Wege zum Geheimnis der Welt, ja zu Gott selbst."
So gesehen ist auch der zweite Teil des Verses eine gute Nachricht. "Der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt." Das, was Gott uns abverlangt, ist nichts Übermenschliches. Erwarten sollen wir. Weniger von uns selbst, mehr von Gott. Und wachsam bleiben, kritisch und wissbegierig.
Und wenn uns Leid oder Lasten bedrängen, ist es befreiend, wenn wir harrend und fragend unseren Schmerz ausdrücken. Und zwar gegenüber Gott. Gott stellt sich uns als Klagemauer unseres Lebens zur Verfügung. Das ist etwas Befreiendes, was wir gerade aus den Klageliedern für uns entdecken können. Bei Gott dürfen wir mit unseren Wünschen maßlos sein. In Gottes Gegenwart werden gerade die Hoffnung und die Maßlosigkeit des Menschen in bewusster Weise wachgehalten. Maßlosigkeit in unserem Bedürfnis nach Liebe, nach Anerkennung, nach Geborgenheit.
Leiderfahrungen sind und bleiben da, sie machen zu schaffen, das ist so. Und doch ist und bleibt das Leben ein Geschenk Gottes und ich will und ich werde mich deshalb nicht vom Leid, von Sorgen und Problemen ganz und gar gefangen nehmen lassen. Denn all' dem Schweren im Leben stehen mindestens zwei guten Nachrichten entgegen: Erstens ist der HERR freundlich! Und zweitens brauchst du nur zu harren und zu fragen. Dein Leben und das Heil der Welt liegen in verlässlicher Hand.
Gebet
Gott, meine werte Freundin,
manchmal packt mich die Ungeduld
und ich will nicht länger warten,
will Gewissheit und Antwort.
Schwer fällt mir die Einsicht,
dass ich nicht alles im Griff habe,
dass Fragen bleiben,
so sehr ich auch nach Antwort suche.
Schenke mir die Gewissheit,
dass ich mich auf Dich verlassen kann,
dass Du mir freundlich gesonnen bist.
In den Geschwistern an meiner Seite
lass mich Dich erkennen, im zarten Windhauch
lass mich Deine Gegenwart spüren.
In meinem Innersten sollst Du die lautlose Stimme sein,
die mir Leben verspricht.
Lass mich Dich immer wieder neu finden:
in den erfüllenden Momenten des Glaubens,
in den Tönen der Hoffnung,
in den Farben der Liebe.
Amen
Liedvorschläge
EG 593 Harre meine Seele
EG 365 Von Gott will ich nicht lassen
Da wohnt ein Sehnen tief in uns nach dir, o Gott (LebensWeisen Beiheft 05 zum evangelischen Gesangbuch, Nr. 19)